Tatami-Matten und Friedhofsgeschichten

Japan, 22. März 2019 Nach vielen eindrücklichen Erkundungstagen in den japanischen Grossstädten Kobe, Osaka und Kyoto zog es Mirko und mich einmal mehr in die Berge. So fuhren wir mit unserem Toyota über viel zu enge Pass-Strassen (und damit meine ich wirklich viel zu eng, wir hatten jeweils noch rund fünf Zentimeter links und rechts Platz, bevor Häuserreihen oder Felsenwände unser Auto touchiert hätten) nach Kōya-san in der Präfektur Wakayama. Die schweisstreibende Millimeterarbeit lohnte sich. Wir verbrachten hier aufschlussreiche und schöne 24 Stunden.

Kōya-san ist eine Hochebene, deren Hauptattraktionen der buddhistische Kongōbu-Tempel und weitere 117 untergeordnete Tempel sind. All diese Tempel und die darin wohnhaften Mönche verschrieben sich dem Studium und der Praxis des esoterischen Buddhismus, auch Shingon-shū genannt. Kurz erklärt bedeutet Shingon-shū „Schule des wahren Wortes“ und wurde von dem Mönch Kōbō Daishi im Jahr 807 gegründet.

Das Spezielle und für uns besonders Attraktive an Kōya-san war, dass die Hälfte dieser Tempel für Touristen und Pilger geöffnet sind. So konnten wir spontan übers Internet eine Übernachtung in einem dieser Tempel buchen. Da wir alle anderen Nächte in unserem doch eher kleinen und kalten Auto verbrachten, gönnten wir uns für diese Nacht ein bisschen Luxus und buchten den Tempel Ekōin. (Wir können diese Unterkunft übrigens sehr empfehlen!)

Schuhe aus…

Wie in vielen traditionellen japanischen Häusern – sei dies Onsen, Restaurants, Museen oder Hotels, wird auch hier im Ekōin jeder Gast gebeten, gleich bei Ankunft die Schuhe auszuziehen und stattdessen in hölzerne Pantoffeln zu steigen. Das ist in der Tat ein bisschen gewöhnungsbedürftig (wir mussten daher auch schnell mal unsere zerlöcherten Weltreise-Socken „ausmisten“, das macht hier in Japan keine Falle) – aber auch ziemlich gemütlich.

Tatami-Matten…

Wir staunten nicht schlecht, als wir unser Hotelzimmer für die Nacht sahen. Alles ist in japanischem Stil eingerichtet. Die Räume sind nur sehr schlicht dekoriert und blitzblank-sauber. Die Inneneinrichtung besteht fast ausschliesslich aus natürlichen Materialien wie Holz, Bambus und oder Papier. Es gibt nur Schiebetüren und für Privatsphäre sorgen dünne Trennwände aus Shōji-Papier. Ausserdem fanden wir einen kleinen Buddha-Schrein im Zimmer – dafür aber kein Bett. Wir erfuhren, dass wir auf traditionellen Futons, die tagsüber aufgerollt und weggeräumt werden, schlafen werden (was sich übrigens als sehr bequem herausstellte). In der Mitte des Aufenthaltsraum stand ausserdem ein Kotatsu, ein beheizter, bodennaher Tisch, an dem wir auf einem weichen Kissen sitzend den Begrüssungs-Grüntee tranken.

Kein Mandala…

… sondern japanische Kalligrafie, auch “Gosyuin” genannt. Darin konnten wir uns am Nachmittag üben. Mit einem speziellen Kalligrafie-Stift war es unsere Aufgabe, japanische und chinesische Zeichen „abzupausen“, beziehungsweise nachzuzeichnen. Diese „Aufgabe“ ist eigentlich als Meditation gedacht und nicht als reine Kalligrafie-Übung, was wir zu diesem Zeitpunkt aber nicht wussten. Wir hatten auch keine Ahnung, was die Zeichen bedeuteten und hielten zahlreiche Verhaltensregeln beim achtsamen Kalligrafie-Schreiben (wie: zuerst Zähneputzen, schöne Kleider tragen, nicht sprechen, keine Pausen machen…) nicht ein. Lustig war die Übung aber trotzdem.

Tofu…

Ganz nach Mönchs-Manier wurde bereits um 17.30 Uhr unser Abendessen auf den Beistelltischen bei den Tatami-Matten serviert. Die Gerichte (wohlgemerkt, man isst hier nicht gemeinsam mit anderen Gästen in einem Speisesaal, sondern in seinem eigenen Zimmer – privat und diskret) waren alle nach traditionell buddhistischer Zubereitungsart gekocht und typischerweise fleischlos. Neben Reis, Miso-Süppchen, Gurken, Ingwer, Spinat und fermentierten Pflaumen konnten wir auch die für die Region typischen Tofuspeisen „koya-dofu“ (gefriergetrocknetes Tofu) und „goma-dofu“ (Sesam-Tofu) probieren. Deren Textur und auch Geschmack waren jedoch eher gewöhnungsbedürftig und schmeckten uns ehrlich gesagt nicht. Zum Frühstück gab es dann übrigens wieder sehr ähnliche Speisen; Brot, Joghurt, Kaffee und Müäsli kennt man hier nicht. Immerhin fanden wir bei der Tempel-Rezeption eine kleine Jura-Kaffeemaschine, das war unsere Rettung für müde Momente, wie zum Beispiel der morgendlichen Tempel-Zeremonie um 06:30 Uhr.

Friedhofsgeschichten…

Vor dem Einschlafen unternahmen wir einen Nachtspaziergang durch den Friedhof „Okuni-in“. Dieser mystische Ort ist in buddhistischen Kreisen überall bekannt. Denn, so erfuhren wir, sitze hier Kōbō Daishi in ewiger Meditation vertieft. Ihm werden übrigens nach wie vor jeden Tag um 6.30 und 10.30 Uhr üppige Mahlzeiten gekocht. Während des Spaziergangs wurden uns ein paar weitere spannende Fakten zum Friedhof erzählt:

  • Es ist einer der grössten Friedhöfe von Japan. Hier gibt es rund 200’000 Gräber und unzählige Gedenksteine umgeben von hunderte Jahre alten japanischen Zedern.
  • Immer mal wieder sahen wir kleine Buddha-Statuen mit roten Lätzchen um den Hals. Mütter widmen diese ihren Kindern, für Schutz oder für Seelenfrieden bei Todesfällen.
  • Alle Grabsteine, auch Stupas genannt, bestehen aus fünf verschiedenen geometrischen Elementen. Sie verkörpern die fünf Elemente des Budddhismus: Raum (Juwel), Wind (Halbkreis), Feuer (Dreieck), Wasser (Kreis) und Erde (Viereck).
  • Bei fast jedem Grab steht eine angezündete Laterne, die unseren nächtlichen Spaziergang erhellte. Beim wichtigsten Mausoleum, dort wo Kōbō Daishi ruht, fanden wir die Lichterhalle. Hier sollen über 10‘000 gestiftete Laternen dem Religionsvater auf Ewigkeit Licht spenden. Wir staunten über das wunderschöne Lichtermeer.

Wir besuchten den eindrücklichen Friedhof auch nochmals bei Tageslicht, bevor wir uns von Kōya-san verabschiedeten. Ein wirklich sehenswertes Bergdorf, für alle, die eine kleine, spirituelle Auszeit von Japans leuchtenden Grossstädten brauchen oder die Heimat des Shingon-shū erleben möchten. An dieser Stelle: Ein Danke an unsere Freunde Domi und Tobi, die uns zu diesem Ausflug geraten haben!

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Natalie and Mirko, Machu Picchu Peru

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