Für ein Wochenende (14. bis 15. Juli 2018) lassen Mirko und ich die türkisfarbenen Gletscherseen, grünen Tannenwälder und die schneebedeckten Berggipfel hinter uns. Wir fahren stattdessen durch trockene Prärien, passieren grosse Viehherden und Ölraffinerien, bis wir im sonnen-verwöhnten, heissen Calgary ankommen.

Calgary ist mit rund 1.3 Millionen Einwohnern die größte Stadt der Provinz Alberta. Nach einem Abstecher in die Innenstadt merken wir schnell, Calgarys Wirtschaft ist nach wie vor stark durch die Mineralöl- und Gasindustrie geprägt. Die boomende Stadt ist aber auch ein wichtiges Finanzzentrum und ganz generell sieht man, dass hier in den letzten Jahren viel in moderne Infrastruktur investiert wurde.

The Bow, Downtown Calgary

Doch genug der urbanen Kunde, unser Abstecher nach Calgary war durch ein grosses, alljährliches Happening – dem Stampede – begründet. Man könnte das Stampede mit einer mehr-besseren OLMA kombiniert mit einem Schwingfest vergleichen. Doch eigentlich ist diese jährliche, 14-tägige Veranstaltung weit mehr als eine Landwirtschaftsmesse, und somit definitiv ein Erlebnis wert.

Wir kaufen Tickets für die Abendshow am Samstag und am Folgetag Tickets für das Rodeo-Finale. Und tauchen so für zwei Tage ein in die Welt der Pommes und der Cowboys. Ich möchte hier ein paar Eindrücke mit euch teilen…

Wir setzen Fuss auf das Festgelände und werden sofort vom Sog der vielen Besucher mitgerissen. Nach vielen Tagen in der Natur scheinen wir uns hier in einer Parallelwelt zu bewegen, so viel Lärm und Gedränge ist ganz ungewohnt. Ein ölig-frittierter Duft hängt schwer in der Luft. Und wechselt sich ab mit künstlich, zuckrigen Duftwellen. Ich bin irritiert vom Essensangebot: Deep fried Mars bars, deep fried Pickles, Poutin (Pommes mit Käse und Gravy überbacken), gegrilltes Beef on a Bun, riesige gegrillte Truthahnschenkel, dann wieder deep fried Oreo Cookies und Cheescake, fried Chicken with Cheese, you name it …! Ohne Erfolg suche ich nach Salat oder etwas Leichtem, was in der sägenden Hitze nun wirklich besser verträglich gewesen wäre. Ich kapituliere schlussendlich und entscheide mich für klassische Pommes mit Ketchup und Mini Doughnuts zum Dessert. Für 6 Dollar kriege ich einen Sack mit 15 kleinen, mit Zimt und Zucker überzogenen und fettig-heissen Doughnuts. Es schmeckt … grossartig. (Das sollte man in der Schweiz auf Jahrmärkten auch mal einführen!)

Gestärkt vom Essen finden wir das grosse Stadion für die Abendshow. Es hat Platz für mehr als 17’000 Rodeo-Fans. Unser Reisebudget lässt keine besseren Sitze als die in der 7. Etage (ich nenne es auch: Die Holzklasse) zu. Doch wir finden die Plätze eigentlich ganz sympathisch, denn das Wichtigste lässt sich auch von hier aus gut erkennen. Uns fesselt am Samstag vor allem das Chuckwagon Race. Hier treten vier von Pferden gezogene Planwagen gegeneinander an und müssen so schnell wie möglich um Hindernisse gefahren werden, ohne diese umzustoßen, bevor sie sich ein Rennen auf der Bahn liefern.

Die anschliessende Abendshow war, mit den bunt zusammengewürfelten Acts wie einem Illusionist, einem Bauchredner, einem Tänzern, einem alten Balladensänger, einem Kinderchor und einem Stand-up-Comedian zwar unterhaltsam, entbehrte jedoch eines roten Fadens.

Deutlich spannender war das Rodeo-Finale am Tag darauf. Nach einem erneuten Hindernislauf durch die zahlreichen Besucher und entlang der vielen Pommes-und-Co.-Stände finden wir uns in der Holzklasse des Stadions wieder. Die Atmosphäre ist stimmungsgeladen, ohne Cowboystiefel und Strohhut fallen wir aber hier fast auf. Zeigen sich doch die meisten Besucher in ihrem besten Wild-West-Outfit…

Habt ihr gewusst, dass Rodeo mehr ist, als möglichst lange auf einem Bullen reiten? Ich war überrascht, wie viele verschiedene Disziplinen eine Rodeo-Veranstaltung umfasst. Fachjargon-frei und aus Sicht eines Laien möchte ich hier nun alle sechs Rodeo-Disziplinen zusammenfassen.

  1. Tie Down Roping: Der Cowboy reitet auf einem Pferd und fängt mit einem Lasso ein Kalb ein. Das Kalb bringt er mit den Händen zu Boden und schnürt mit einem Seil das Vorder- und Hinterbein zusammen, damit das Tier regungslos liegen bleibt. Beurteilung nach Zeit.
  2. Bareback Riding: Der Cowboy reitet acht Sekunden lang auf einem ungesattelten, wilden Pferd. Beurteilung nach Reit-Stil und Verhalten des Pferds. Reiter und Tier sollen dabei möglichst synchron hüpfen.
  3. Steer Wrestling: Der Cowboy muss im richtigen Moment von seinem Pferd auf einen jungen Stier springen und diesen auf den Rücken bringen. Beurteilung nach Zeit.
  4. Saddle Bronc Riding: Der Cowboy reitet acht Sekunden auf einem wilden, aber gesattelten Pferd. Beurteilung nach Reit-Stil und Verhalten des Pferds.
  5. Barrel Racing: Das Cowgirl reitet auf dem eigenen Pferd und muss möglichst schnell um drei alte Ölfässer galoppieren. Beurteilung nach Zeit.
    Übrigens, dies ist die einzige Disziplin in der Frauen antreten – nur Frauen. In dieser Hinsicht hat der Sport noch einiges nachzuholen!
  6. Bull Riding, Köngisdisziplin: Der Cowboy reitet, mit Helm ausgerüstet, auf einem ausgewachsenen Stier und darf sich nur mit einer Hand am Tier festhalten. Beurteilung nach Stil, wobei nur die wenigsten Teilnehmer es schafften, die im Minimum geforderten 8 Sekunden auf dem Stierrücken zu bleiben.

Die Cowboys- und Girls geben bei allen Disziplinen ihr Bestes, denn es werden insgesamt mehr als 2 Millionen Dollar Preisgeld vergeben. An keiner anderen Rodeo-Show sind die Preisgelder höher… Wir jubeln, frei von regionalen Präferenzen, allen Teilnehmern zu und geniessen die Stimmung.

Gegen Abend haben wir aber genug gesehen und erlebt. Jetzt freuen wir uns wieder auf die ruhige Atmosphäre auf den Campingplätzen und auf die frische Luft. Nicht aber ohne eine letzte Portion Mini Doughnuts zu verdrücken.

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Natalie and Mirko, Machu Picchu Peru

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